Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) ist erstmalig 1977 in Kraft getreten und seitdem mehrfach novelliert worden. Seit dem 01.01.2021 ist die neueste Fassung in Kraft, die unter anderem auf verbindliche Mindest- und Höchstsätze verzichtet und den Abschluss wirksamer Honorarvereinbarungen stark vereinfacht.
I. Was sind die wesentlichen Neuerungen der HOAI 2021?
1. Zahlungen
Die neue Verordnung gilt gemäß § 1 S. 1 für alle von ihr erfassten Ingenieur- und Architektenleistungen. Während die Vorgänger-HOAI auch als sogenannte Inländer-HOAI bezeichnet wurde, weil der Anwendungsbereich auf im Inland ansässige Auftragnehmer/innen und im Inland erbrachte Grundleistungen beschränkt war, findet sich eine solche Beschränkung in der seit dem 01.01.2021 geltenden Fassung nicht mehr. Die Einschränkung ist nicht mehr erforderlich, weil die jetzige HOAI ohnehin kein zwingendes Preisrecht mehr darstellt, sondern die Regelungen der HOAI können (aber müssen eben nicht) zum Zwecke der Honorarberechnung einer Honorarvereinbarung zugrunde gelegt werden, vgl. § 1 S. 2 HOAI. Im Übrigen ist der Anwendungsbereich n § 1 S. 1 HOAI nicht mehr auf die Grundleistungen beschränkt, sondern gilt für sämtliche Leistungen, die von dieser Verordnung umfasst sind, also neben den Grundleistungen auch für die besonderen Leistungen.
Beibehalten wird der leistungsbezogene Anwendungsbereich. Das heißt, dass weiterhin auf die konkrete Tätigkeit und nicht den Berufsstand der Architekten und Ingenieure abgestellt wird, sodass die HOAI theoretisch auf jeden angewandt werden kann, der entsprechende Architekten- oder Ingenieurleistungen erbringt.
2. Honorartafeln und Basishonorarsatz
Der neu eingefügte § 2a Abs. 1 HOAI stellt klar, dass die weiterhin in der HOAI enthaltenen Honorartafeln (lediglich) Orientierungswerte ausweisen, die an der Art und den Umfang der Aufgabe sowie an der Leistung ausgerichtet sind. Die Honorartafeln enthalten für jeden Leistungsbereich Honorarspannen vom Basishonorarsatz bis zum oberen Honorarsatz, gegliedert nach den einzelnen Honorarzonen und den zugrunde liegenden Ansätzen für Flächen, anrechenbare Kosten oder Verrechnungseinheiten. Sodann definiert § 2a Abs. 2 HOAI den Basishonorarsatz als den jeweils unteren in den Honorartafeln dieser Verordnung enthaltenen Honorarsatz. Damit entspricht der Basishonorarsatz dem vorher geltenden Mindestsatz mit dem entscheidenden Unterschied, dass der Basishonorarsatz kein zwingendes Preisrecht darstellt.
3. Freie Honorarvereinbarung
Im Zentrum der Novelle steht die Neufassung von § 7 HOAI. Nach § 7 S. 1 HOAI richtet sich das Honorar nach der Vereinbarung, die die Vertragsparteien in Textform treffen. Es entfällt also der bisher in § 7 HOAI alter Fassung verankerte Preisrahmen der Mindest- und Höchstsätze für die Honorarvereinbarung. Die Preisfindung per Honorarvereinbarung in Textform wird grundsätzlich nicht mehr bschränkt, soweit nicht die Grenze der Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB überschritten wird, was allerdings in aller Regel nicht der Fall sein wird, da hierunter nur besonders „krasse“ Ausnahmefälle fallen. Textform meint die Abgabe einer lesbaren Erklärung, die den Erklärenden nennt, auf einem dauerhaften Datenträger (§ 126b BGB), also z. B. per gespeicherter E-Mail, Computerfax oder SMS. Das bisherige Schriftformerfordernis, also die eigenhändige Unterschrift, entfällt. Auch die bisherige Beschränkung auf den Zeitpunkt bei Auftragserteilung entfällt ersatzlos, sodass die Honorarvereinbarung nunmehr jederzeit wirksam geschlossen werden kann, solange die vorgeschriebene Textform eingehalten wird.
4. Basishonorar als gesetzliche Fiktion
Sofern die Parteien keine Honorarvereinbarung in Textform getroffen haben sollten, gilt gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 HOAI für Grundleistungen der jeweilige Basishonorarsatz als vereinbart, der sich bei der Anwendung der Honorargrundlagen des § 6 HOAI ergibt. Damit greift beim Fehlen einer wirksamen Honorarvereinbarung das Basishonorar als Auffangregelung. Die Fiktion soll der Rechtssicherheit dienen und bei fehlender Vereinbarung Streitigkeiten über die Honorarhöhe vermeiden.
5. Hinweispflicht bei Verbrauchern
Ist der Auftraggeber ein Verbraucher, also eine natürliche Person, die zu privaten Zwecken baut, vgl. § 13 BGB, so hat der Auftragnehmer ihn gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 HOAI – vor der Abgabe von dessen verbindlicher Vertragserklärung zur Honorarvereinbarung – in Textform darauf hinzuweisen, dass ein höheres oder niedrigeres Honorar als die in den Honorartafeln enthaltenen Werte vereinbart werden kann. Mithin ist auf das Vorhandensein der HOAI und deren Anwendbarkeit sowie auf den Charakter der Honorartafeln als Orientierungswerte hinzuweisen. Erfolgt dieser Hinweis nicht oder nicht rechtzeitig, greift gemäß Satz 2 für vereinbarte Grundleistungen die gesetzliche Fiktion (siehe oben unter 3.), soweit sie zu einem geringeren Honorar führt. Wurde ein Honorar unterhalb des Basissatzes vereinbart, bleibt es dabei.
Ergänzender Hinweis: Weitere Hinweispflichten treffen die Architekten und Ingenieure gegenüber Verbrauchern beispielsweise gemäß § 650r Abs. 1 BGB bezüglich des Sonderkündigungsrechts nach Übergabe der Planungsgrundlage und Kosteneinschätzung oder auch beim Abschluss des Vertrags unter Nutzung von Fernkommunikationsmittel oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen über die Möglichkeit des Widerrufs, vgl. § 356 Abs. 3 BGB. Die Hinweis-/Belehrungspflichten gegenüber Verbrauchern sind mithin vielseitig und Verstöße stets mit erheblichen Konsequenzen verbunden, sodass Architekten und Ingenieure diese bei Vertragsanbahnung mit einem Verbraucher kennen und konsequent erfüllen sollten.
6. Fälligkeit und Abschlagszahlungen
Gemäß § 15 S. 1 HOAI richtet sich die Fälligkeit der Honorare für die von der HOAI erfassten Leistungen künftig nach § 650g Abs. 4 BGB. Voraussetzung ist danach grundsätzlich die Abnahme und die Erteilung einer prüfbaren Schlussrechnung. Dies entspricht der gesetzlichen Regelung in § 650q Abs. 1 i.V. m. § 650g Abs. 4 BGB.
Für das Recht, Abschlagszahlungen zu verlangen, gilt § 632a BGB entsprechend, d. h., Abschläge können in Höhe des Wertes der erbrachten Leistungen verlangt werden.
II. Auswirkungen auf die Praxis von Architekten und Ingenieuren
1. HOAI 2021 als Hilfsmittel zur Preisfindung
Die HOAI kann von den am Planungsprozess Beteiligten nach wie vor als bewährtes Hilfsmittel zur Preisfindung herangezogen werden. Die Struktur und die Honorarparameter sowie die in den Anlagen beschriebenen Leistungsbilder sind im Wesentlichen gleich geblieben, sodass der Anwender, der sich in der alten HOAI „zu Hause“ gefühlt hat, auch mit der neuen HOAI zur Berechnung der Honorare in der Lage ist.
2. Mehr wirksame Honorarvereinbarungen zu erwarten
Mit den Änderungen hin zur jederzeitigen Honorarvereinbarung, deren Wirksamkeit nur noch vom Einhalten der Textform abhängig gemacht wird, wird den Parteien eine sehr viel praktikablere Möglichkeit als bisher eröffnet, wirksame Honorarvereinbarungen abzuschließen. Dies stellt gegenüber der bisherigen Rechtslage eine erhebliche Vereinfachung dar und dient zugleich der Rechtssicherheit, denn bisher wurden Honorarvereinbarungen im Streitfall regelmäßig mit dem Hinweis auf die fehlende Schriftform oder den falschen Zeitpunkt, nämlich nicht bei Auftragserteilung, erfolgreich angegriffen. An ihrer Stelle galt dann das Mindestsatzhonorar nach der HOAI a. F. anstelle des vereinbarten (z. B. Pauschal-) Honorars, was zu erheblichen Honorardifferenzen führen konnte. Jedenfalls, wenn die Konjunkturlage es zulässt, dürfte zu erwarten sein, dass die Auftraggeber versuchen werden, die Planer durch Pauschal- oder Festpreisabreden im Honorar zu deckeln. Schließlich steht nicht mehr zu befürchten, dass der Auftragnehmer unter Berufung auf die Mindestsatzunterschreitung eine sogenannte Aufstockungsklage gegen seinen Auftraggeber führt. Diese Art der Klage hat jedenfalls für Vertragsverhältnisse, die seit dem 01.01.2021 abgeschlossen wurden, keine Aussicht mehr auf Erfolg, da dieser Klageart mit dem Wegfall der verbindlichen Mindestsätze die Grundlage entzogen wurde, soweit eine Honorarvereinbarung in Textform geschlossen wurde.
Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass eine mündliche Honorarvereinbarung aufgrund des gesetzlichen Textformerfordernisses nichtig ist, vgl. § 125 S. 1 BGB. Insofern könnten Bauherren versucht sein, von mündlichen Honorarvereinbarungen, die den Basishonorarsatz überschreiten, Abstand zu nehmen und stattdessen den Planer gemäß § 7 Abs. 1 HOAI auf den Basishonorarsatz zu verweisen. Andersherum bestünde für Architekten und Ingenieure, die sich mündlich auf ein Honorar eingelassen haben, das den Basissatz unterschreitet, die Möglichkeit, gegenüber dem Bauherrn den Basishonorarsatz zu fordern. Beide vorgenannten Vorgehensweisen dürften grundsätzlich erfolgversprechend sein, soweit dem im Einzelfall nicht der Einwand von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB entgegensteht. Wichtig: Die Honorarrechtsschutzversicherungen enthalten regelmäßig die Einschränkung, dass ausschließlich für Honorare Rechtsschutz gewährt wird, denen ein schriftlicher Werkvertrag zugrunde liegt. Sofern Architekten und Ingenieure über eine derartige Honorarrechtsschutzversicherung verfügen, dürfte es für Architekten und Ingenieure aus diesem Grund nach wie vor geboten sein, ihren Werkvertrag einschließlich der Honorarvereinbarung schriftlich zu schließen.
3. Auswirkungen auf die Vergabepraxis von Architekten- und Ingenieurleistungen
Bereits direkt nach dem Urteil des EuGH vom 04.07.2019 – Rs. C-377/17 – sind die öffentlichen Auftraggeber dazu übergegangen, bei der Ausschreibung von Architekten- und Ingenieurleistungen ausdrücklich auch Angebote unterhalb der Mindestsätze der HOAI zu berücksichtigen. Wie uns bekannt ist, führte dies in Einzelfällen bereits dazu, dass – trotz der herrschenden Konjunkturlage – Nachlässe von 10 % auf den Mindestsatz der HOAI in Vergabeverfahren angeboten wurden und den Zuschlag erhielten. Die öffentlichen Auftraggeber werden zwar auch weiterhin die HOAI als Hilfsmittel der Honorarberechnung verwenden, allerdings werden sie auch Angebote berücksichtigen müssen, die den jetzigen Basishonorarsatz unterschreiten, sodass auch hier der Preiskampf eröffnet ist.
4. Zunehmende Relevanz von Nachträgen für Planer
Überall da, wo die Auftragnehmer gezwungen sind, durch die Abgabe sehr günstiger Angebote Aufträge zu generieren, hat sich in der Vergangenheit ein ausgeprägtes Nachtragsmanagement entwickelt, um die beim Vertragsschluss ausgelassenen Honorarpotenziale nachträglich geltend zu machen. Insofern könnte die Deregulierung des Planungshonorars möglicherweise zu spürbar vermehrt geltend gemachten Nachträgen führen, die regelmäßig ein hohes Konfliktpotenzial mit dem Auftraggeber bergen. Wesentlich für ein erfolgreiches Nachtragsmanagement ist in erster Linie die genaue Kenntnis des vertraglich geschuldeten Leistungssolls, sodass die Vertragsgestaltung auch diesbezüglich – neben der Honorarvereinbarung – an Bedeutung gewinnen dürfte.
5. Auswirkungen auf den Versicherungsschutz der Berufshaftpflichtversicherung?
Auswirkungen im Umfang des Versicherungsschutzes der Berufshaftpflichtversicherung sind derzeit nicht zu erkennen. Die Berufshaftpflichtversicherung versichert die gesetzliche Haftpflicht, die mit der Ausübung der freiberuflichen Tätigkeit verbunden ist. Versicherungsgrundlage ist die im Versicherungsschein beschriebene freiberufliche Tätigkeit bzw. das Berufsbild. Eine Orientierung, was unter die freiberufliche Tätigkeit/das Berufsbild fällt, können u. a. die jeweiligen Landesarchitekten-/Ingenieurgesetze oder auch die HOAI liefern. Erweiterungen des Berufsbildes durch z. B. neue Gesetze, Verordnungen oder auch Rechtsprechungen werden in der Regel vom Versicherungsschutz umfasst. Eine Veränderung der Leistungsbilder ist jedoch mit der neuen HOAI 2021 nicht erfolgt. Soweit vertragliche Leistungen nach HOAI vereinbart sind, müssen diese zur Vertragserfüllung nach wie vor erbracht werden. Das EuGH-Urteil hat nur die Verpflichtung der Mindest- und Höchstsätze geändert und nicht die HOAI als Ganzes, weitere Regelungen der HOAI sind davon nicht betroffen.
Darüber hinaus bilden die Honorare der Architekten und Ingenieure bei durchlaufenden Jahresversicherungen die Grundlage für die Beitragsermittlung des Versicherungsbeitrages. Eine Abweichung von diesen Honorarsätzen hatte bisher keine Auswirkung auf den Versicherungsschutz, woran sich auch mit der neuen HOAI nichts ändert. Eine Ausnahme hierzu ergibt sich nur, soweit der Versicherungsvertrag oder die Versicherungsbedingungen explizit die Einhaltung der HOAI-Honorarsätze mit dem Versicherungsschutz verknüpfen, was jedoch nicht marktüblich ist.
Fazit
Die seit dem 01.01.2021 geltende HOAI verzichtet auf verbindliche Mindest- und Höchstsätze. Darüber hinaus wird mit der novellierten HOAI der Abschluss wirksamer Honorarvereinbarungen stark vereinfacht. Die Abkehr von verbindlichen Mindestsätzen könnte – zumindest in schwächeren Konjunkturphasen – zu starkem Preiswettbewerb führen. Um die günstigen Angebotspreise auszugleichen, könnten sich Architekten und Ingenieure zukünftig – bei genauer Kenntnis ihres vertraglich geschuldeten Planungssolls – eines aktiven Nachtragsmanagements bedienen. Die Gestaltung von Planungsverträgen dürfte demnach zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen.
Gegenüber Verbrauchern wird den Architekten und Ingenieuren bezüglich der Möglichkeit der freien Honorarvereinbarung eine neue Hinweispflicht auferlegt, die neben bereits bestehende Hinweispflichten gegenüber Verbrauchern tritt (bspw. bezüglich des Sonderkündigungsrechts gem. § 650r Abs. 1 BGB oder eine ggf. erforderliche Widerrufsbelehrung gemäß § 356 Abs. 3 BGB). Für den Vertragsschluss mit Verbrauchern sollten sich die Architekten und Ingenieure insofern schon bei Vertragsanbahnung ihrer Hinweispflichten bewusst sein und diese konsequent umsetzen. Es empfiehlt sich insofern, Muster zu erstellen, auf die dann immer wieder zurückgegriffen werden kann.
Gastautoren: Mona Rizkallah, Syndikusrechtsanwältin, Produktmanagement Planungshaftpflicht HDI Versicherung AG; Jasper Strehlow, Rechtsanwalt, Leinemann & Partner Rechtsanwälte mbB