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HOAI-Mindestsatz in Altverträgen: EuGH entscheidet über „Aufstockungsklagen“

HOAI-Mindestsatz in Altverträgen: EuGH entscheidet über „Aufstockungsklagen“ - bau-plan-asekurado

Am 18. Januar entschied der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache Thelen Technopark Berlin ein weiteres Mal zu der Frage der deutschen Regelung, die Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt (HOAI 2013). Der Gerichtshof hatte bereits entschieden, dass diese Regelung gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstößt. Nun stellt der Gerichtshof mit dem veröffentlichten Urteil vom 18.01.2022 klar, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit zwischen Privatpersonen anhängig ist, nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet sei, diese deutsche Regelung unangewendet zu lassen.

Zum Hintergrund: In der HOAI (2013) waren zunächst zwingende Mindest- und Höchstsätze für einzelne Architekten- und Ingenieurleistungen festgelegt. Die Honorarabrechnung konnte dabei – auch bei bewusster Vereinbarung eines unter den Mindestsätzen der HOAI (2013) liegenden Honorars – auf Grundlage dieser Mindestsätze erfolgen. Diese Mindestsätze waren bislang im Rahmen einer sog. Aufstockungsklage nahezu stets einklagbar. Die EU-Kommission beanstandete schließlich im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens einen Verstoß gegen die Dienstleistungsrichtlinie (Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006) aufgrund der in § 7 HOAI (2013) festgelegten Mindest- und Höchsthonorarsätze. Hierdurch werde Architekten und Ingenieuren aus anderen EU-Mitgliedsstaaten die Zutrittsmöglichkeit in den deutschen Markt erheblich erschwert. Eine Rechtfertigung dieser Beschränkung aus Verbraucherschutzgesichtspunkten, zur Sicherung der Leistungsqualität oder aufgrund anderer zwingender Gründe des Allgemeinwohls sah der EuGH nicht und stellte entsprechend fest, § 7 HOAI (2013) verstoße gegen Unionsrecht.

Für alle ab dem 1. Januar 2021 geschlossenen Architekten- und Ingenieurverträge finden daher nun neue HOAI-Regelungen zur Honorargestaltung Anwendung (§ 57 Abs. 2 HOAI 2021). Es gilt nunmehr der Grundsatz der freien Vergütungsvereinbarung für alle von der HOAI erfassten Leistungen. Zwar enthält die neue HOAI weiterhin Honorartafeln, diese dienen jedoch lediglich der Preisorientierung. Eine zwingende Anwendung fordern diese hingegen nicht mehr. Daher wurde die Terminologie des „Mindesthonorarsatzes“ in „Basishonorarsatz“ geändert.

Bei der nun entschiedenen Rechtssache Thelen Technopark Berlin handelt es sich um den klassischen Fall einer Aufstockungsklage. Die Parteien hatten noch vor der EuGH-Entscheidung 2016 einen Ingenieurvertrag geschlossen. Dabei hatten die Parteien bewusst ein Pauschalhonorar vereinbart, das unterhalb der nach der HOAI (2013) geltenden Mindestsätze lag. Nach der Kündigung des Vertrags rechnete der Kläger seine bisher erbrachten Leistungen nicht nach der vereinbarten Pauschale, sondern nach den deutlich höheren Mindestsätzen der HOAI (2013) ab. Sowohl erst- als auch zweitinstanzlich konnte der Kläger diese Mindestsätze nahezu vollständig durchsetzen. Der Bundesgerichtshof wendete sich anschließend an den EuGH mit der entscheidenden Frage, ob die gegen Unionsrecht verstoßenden Regelungen der HOAI (2013) in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen unangewendet zu lassen sind. Dies würde im Ergebnis dazu führen, dass eine Richtlinie (hier die Dienstleistungsrichtlinie) in einem ausschließlich privatrechtlichen Rechtsverhältnis derart berücksichtigt würde, dass sich diese auf die Rechtspositionen der Parteien auswirke. Diese Wirkung entstünde, obwohl der Richtlinie nach Art. 288 Abs. 3 AEUV grundsätzlich nur Bindungswirkung gegenüber den Mitgliedstaaten zukommt.

Der EuGH zeigt eine vermittelnde Auffassung, indem er betont, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet ist, die nationale Regelung zu Mindesthonoraren unangewendet zu lassen. Die Urteile, mit denen eine Vertragsverletzung eines Mitgliedsstaats gestellt wird, legten vor allem die Aufgaben der Mitgliedstaaten im Fall der Verletzung ihrer Pflichten fest, nicht jedoch die Rechte und Pflichten von Einzelnen.

Wichtig ist jedoch der deutliche Hinweis des Gerichtshofs, dass – nachdem er bereits festgestellt hat, die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung der Mindesthonorare sei nicht mit dem Unionsrecht vereinbar und ihre Beibehaltung stelle daher eine Vertragsverletzung seitens der Bundesrepublik Deutschland dar – dieser Verstoß gegen das Unionsrecht als offenkundig qualifiziert im Sinne seiner Rechtsprechung zur außervertraglichen Haftung eines Mitgliedstaats wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht anzusehen sei.

Dieses Urteil stellt klar, dass die Pflicht aus einer nationalen, nicht mit dem Unionsrecht vereinbaren Regelung nicht die Verleihung von Rechten an Einzelne betreffen kann. Dennoch muss die mögliche außervertragliche Haftung des Mitgliedstaats aufgrund der bereits ergangenen Rechtsprechung des EuGH wegen des Verstoßes der nationalen Regelung zu den Mindestsätzen nach HOAI 2013 gegen das Unionsrecht beachtet werden. Dies wird nun der BGH zu berücksichtigen haben.

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