Viele Unternehmen greifen gelegentlich auf externe IT-Spezialisten zurück, um von deren Expertenwissen zu profitieren und wettbewerbsfähig zu bleiben. Doch schrecken derzeit auch viele davor zurück, aus Sorge vor einer möglichen Scheinselbständigkeit des freien Mitarbeiters. Was genau unterscheidet einen selbständigen Freelancer von einem Scheinselbständigen?
Scheinselbständig ist, wer nach außen als selbständiger Berater oder Entwickler auftritt, seine Aufgaben aber wie ein Angestellter erfüllt – mit stark eingeschränkten unternehmerischen Entscheidungsbefugnissen. Die Frage, ob es sich bei einem Freelancer um echte Selbständigkeit oder doch um Scheinselbständigkeit handelt, kann beispielsweise im Rahmen einer Betriebsprüfung aufkommen. Eher selten klagt ein IT-Freiberufler seinen Arbeitnehmerstatus selbst vor Gericht ein, denn die meisten sind freiwillig und gern selbständig.
Doch egal, wie es zur Feststellung der Scheinselbständigkeit kommt: Sie hat sowohl für die Auftraggeber als auch für die betroffenen IT-Freelancer erhebliche Konsequenzen.
Risiken der Scheinselbständigkeit
Wird die Scheinselbständigkeit eines Auftragnehmers festgestellt, muss das beauftragende Unternehmen für bis zu vier Jahre rückwirkend Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen (also Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung). Bei Vorsatz ist dies sogar bis zu 30 Jahre möglich und es drohen darüber hinaus strafrechtliche Konsequenzen.
Der vermeintlich selbständige IT-Experte gilt nun als Arbeitnehmer, mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten. Oft sinkt damit sein Nettolohn. Der Auftraggeber kann die Arbeitnehmeranteile der nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträge von dessen künftigen Gehalt abziehen (bis zu drei Monate lang). Nicht zuletzt kann der Ruf des IT-Experten Schaden nehmen –später erneut als Freelancer zu arbeiten wird damit deutlich schwieriger.
Checkliste: Was unterscheidet Freelancer und Scheinselbständige?
Daher ist es wichtig, rechtzeitig das Risiko einer möglichen Scheinselbständigkeit zu prüfen. Hierfür kommt es auf die richtige Vertragsgestaltung ebenso wie auf die tatsächlichen Arbeitsbedingungen an. Echte Freiberufler sind eigenverantwortliche Unternehmer: Auch wenn der Auftraggeber das Ziel vorgibt, sollten Freelancer den Weg dorthin weitgehend selbst bestimmen können. Zudem tragen sie die unternehmerischen Risiken. Eine Möglichkeit, dies gegenüber Auftraggebern und Behörden deutlich zu machen, ist der Abschluss einer IT-Haftpflichtversicherung. Diese übernimmt die Schadenskosten, die Freelancer bei Kunden verursachen, von Cyberschäden bis zu Umsatzausfällen.
In der folgenden Checkliste sind die wichtigsten Kriterien aufgeführt, die für eine echte Selbständigkeit des IT-Freiberuflers sprechen:
1. Vertragsgestaltung
- Der Freelancer erstellt ein auftragsbezogenes Angebot für spezialisierte, individualisierte Dienstleistungen, die sich von den Tätigkeiten der Festangestellten unterscheiden.
- Der IT-Experte war zuvor nicht beim aktuellen Auftraggeber angestellt.
- Der Auftrag ist befristet und projektbezogen. Leistungen, die über den vertraglich vereinbarten Umfang hinausgehen, werden individuell verhandelt.
- Das vereinbarte Honorar liegt deutlich über dem eines vergleichbaren Angestellten.
- Es erfolgt keine Fortzahlung im Urlaubs- oder Krankheitsfall.
- Der Freelancer weist eine eigene Kranken- und Rentenversicherung sowie ggf. eine eigene IT-Haftpflichtversicherung nach.
- Dem Freelancer ist der Einsatz eigener Mitarbeiter nicht verboten.
- Er oder sie darf parallel auch für andere Auftraggeber tätig werden.
Dienstverträge bergen ein deutlich höheres Risiko hinsichtlich einer Scheinselbständigkeit als Werkverträge. Im Zweifel sollten Unternehmen strittige Verträge von einem spezialisierten Rechtsanwalt prüfen lassen.
2. Arbeitsbedingungen
- IT-Freiberufler sind weitgehend frei in der Gestaltung ihrer kreativen Tätigkeit. Statt fachliche Weisungen entgegenzunehmen, findet die Abstimmung mit dem Auftraggeber auf Augenhöhe statt.
- Arbeitsort und Arbeitszeiten sind nicht vorgegeben (außer die IT-Sicherheit oder die Natur des Auftrags erfordern dies).
- Der Freelancer verwendet eigene Arbeitsmittel (Laptop, Smartphone, Fahrzeug etc.), sofern nicht Datenschutz oder IT-Sicherheit dagegensprechen.
- Der IT-Experte ist nicht in die Arbeitsorganisation des Unternehmens eingegliedert. Er oder sie ist nach innen klar als externer Mitarbeiter gekennzeichnet und tritt nach außen nicht im Namen des Unternehmens auf.
- Freiwillige soziale Leistungen wie Essenszuschüsse, Kantine, Betriebskindergarten etc. sind den Festangestellten vorbehalten.
3. Unternehmerisches Auftreten
- Auf beiden Seiten – sowohl beim Auftraggeber als auch beim Auftragnehmer – ist ein klarer Wille zur Selbständigkeit gegeben (der Auftragnehmer wird nicht dazu gedrängt).
- Der Freelancer ist nicht dauerhaft an einen Auftraggeber gebunden, kann Aufträge auch ablehnen und ist grundsätzlich weiterhin „am Markt“ verfügbar.
- Er oder sie betreibt Eigenwerbung bzw. Akquise (z.B. auf Projekt-Portalen oder einer eigenen Website).
- Jeder Freiberufler trägt das wirtschaftliche Risiko, keinen Folgeauftrag zu erhalten, selbst.
Je mehr Kriterien dieser Checkliste zutreffen, desto stärker ist von einer echten Selbständigkeit des Freelancers auszugehen. Im Einzelfall kann die Abgrenzung jedoch schwierig sein. Aus Sicht der Sozialversicherungen gilt als selbständig, wer nicht als Angestellter eingestuft wird – Transparenz sieht anders aus. Berufsverbände prangern diesen Missstand schon seit Jahren an, eine klare Regelung steht noch immer aus.
Statusfeststellungsverfahren: Sinnvoll oder nicht?
Wer mehr Sicherheit haben will, kann bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRB) eine Statusfeststellung beantragen. Die DRB trifft ihre Entscheidungen aber nicht unbedingt nach den gleichen Richtlinien wie die zuständigen Sozialgerichte. Freelancer, die länger als ein Jahr für einen Auftraggeber arbeiten und mit dieser Tätigkeit mehr als 5/6 ihres Einkommens verdienen, stuft sie oft als Arbeitnehmer ein. Laut verschiedener Gerichtsurteile ist es dagegen nebensächlich, wie viele verschiedene Auftraggeber ein IT-Freiberufler hat oder wie lange er für ein Unternehmen tätig ist.
Wer mit einer Entscheidung der DRB nicht einverstanden ist, kann diese vor Gericht anfechten. Jedoch dauert dies meist etliche Jahre und ist (zumindest ohne Rechtsschutzversicherung) mit erheblichen Kostenrisiken verbunden. Wer die Möglichkeit des Statusfeststellungsverfahrens nutzen möchte, sollte es in jedem Fall gut vorbereiten.